Online-Rheologische Messungen zur Formulierungsentwicklung und Rezyklatgewinnung

Schnelle Untersuchungen zur Verarbeitungsstabilisierung am Beispiel von Polypropylen

Online-Rheologische Messungen zur  Formulierungsentwicklung und Rezyklatgewinnung

Kunststoffe müssen während der Schmelzeverarbeitung durch Prozessstabilisatoren, Antioxidantien, geschützt werden. Da es sowohl unter ökonomischen (teure Spezialchemikalien) als auch ökologischen Gesichtspunkten (Ressourcenschonung) nachteilig ist, pauschal „genug“ hinzuzufügen, wird die optimale Menge für neue Kunststofftypen in aufwändigen Versuchsreihen ermittelt. Online-Rheologische Messungen bieten hier das Potenzial zur Beschleunigung und damit die Möglichkeit, zur Restabilisierung beim mechanischen Recycling die Stabilisatorzugabe in Echtzeit auf die wechselnden Chargenzusammensetzungen anpassen zu können.

Antioxidantien

Bei Altkunststoffen sind die Antioxidantien in unterschiedlichem Maße verbraucht. Je niedriger der Antioxidantienanteil desto höher der Molmassenabbau während der Verarbeitung. Da zwischen Molmasse und Viskosität bei Polymeren ein unmittelbarer Zusammenhang besteht, können durch online rheologische Messungen bereits während der Compoundierung Aussagen über die Wirksamkeit der aktuellen Stabilisatorzugabe gewonnen werden. Hierzu werden mit einem Online-Rheometer, welches hinter den Schneckenspitzen an einen Doppelschneckenextruder angeflanscht ist, die Fließkurven sowohl der Scher- als auch der Dehnviskosität gemessen. Erste Untersuchungen wurden an einem wenig stabilisierten Neuware Polypropylen (PP) durchgeführt.

Dabei wurde für ausgewählte Drehzahlen die Menge an zudosiertem Stabilisator variiert. Der verringerte prozessbedingte Abbau spiegelt sich sofort in einem Anstieg der Viskosität in den Fließkurven wider. Ab einem bestimmten Additivanteil kommt es zu keiner weiteren Viskositätszunahme. Damit ist für die vorliegenden Prozessbedingungen die Grenzkonzentration des Stabilisators erreicht, oberhalb derer sich keine weitere Verbesserung erzielen lässt.

Mittels Online-Rheologie erhalten Compoundeure also unmittelbar Informationen zur Auswirkung eines Prozess-Stabilisators. Hinzu kommt, dass sich die Fließkurven zwischen den einzelnen Kunststoffen unterscheiden, sie beinhalten somit einen wesentlich höheren Informationsgehalt als der einzelne numerische Wert einer MVR-Messung. Zusätzlich können die Fließkurven der Dehnviskosität mit in die Auswertung einbezogen werden. Mittels eines entsprechenden KI-gestützten Systems bietet die Online-Rheologie das Potenzial für eine chargenangepasste Nachstabilisierung in Echtzeit bei der Rezyklatgewinnung.

Untersuchungen zur Verarbeitungsstabilisierung  

Handelsübliche Neuware Kunststofftypen sind in der Regel bereits ab Werk mit entsprechenden Stabilisatorpaketen gebrauchsfertig ausgerüstet. Bei der Entwicklung neuer Kunststoffcompounds muss jedoch vor dem Hintergrund von Ressourcenschonung und Wirtschaftlichkeit die optimal hinzuzufügende Menge an Verarbeitungsstabilisator gezielt ermittelt werden. Dieses Problem stellt sich auch bei Altkunststoffen in Wertstoffströmen, die zur Herstellung von Rezyklaten herangezogen werden. In diesen sind die Stabilisatoren in unterschiedlichem Maß verbraucht. Für die Compoundierung des Mahlguts zu Rezyklaten und deren Weiterverarbeitung z.B. im Spritzgussprozess kommt es also an, die Stabilisatoren in Anteilen genau passend zu den Kunststofftypen und deren Alterungszustand hinzu zudosieren.

Bei dem bisher üblichen Weg stellt man in Form von Konzentrationsreihen Compounds mit unterschiedlichen Anteilen der Antioxidantien her. Mittels verschiedener Tests wie z.B. Messung der Volumenfließrate (MVR, DIN 1133-1) werden die Compounds offline charakterisiert. Erste belastbare Ergebnisse erthält man erst nach dem Compoundierungsschritt.

Abb. 1a: Schema des Versuchsaufbaus mit Doppelschneckenextruder und Online-Rheometer
Abb 1b: Versuchsaufbau

online die Schmelze charakterisieren

Wir am Fraunhofer LBF verfolgen den Ansatz, bereits während der Compoundierung online die Schmelze zu charakterisieren, um sofort Aussagen über die Wirksamkeit der aktuellen Stabilisatorzugabe zu gewinnen.

Mit einem Online-Rheometer, das hinter den Schneckenspitzen an einen Doppelschneckenextruder angeflanscht ist (Abb. 1), messen wir die Fließkurven sowohl der Scher- als auch der Dehnviskosität.

Bei den im Folgenden geschilderten Versuchen wurden an einem wenig stabilisierten Neuware Polypropylen (PP) verschiedene Alterungszustände durch die Extrusion mit unterschiedlichen Schneckendrehzahlen nachgestellt. Mit zunehmender Schneckendrehzahl steigt der Eintrag an Scherarbeit, der wiederum zu lokalen Temperaturüberhöhungen führt. Diese äußern sich in einem verarbeitungsbedingten Abbau, also einer Alterung des Kunststoffs. Alterung, Abbau ist mit einem Bruch der Polymerketten verbunden, was in niedrigeren Schmelzeviskositäten resultiert.

Abb. 2: Fließkurven der Scherviskosität bei unterschiedlichen Schneckendrehzahlen
Abb. 3a: Fließkurven der Scherviskosität bei unterschiedlichen Anteilen eines Antioxidanspaars („Stab“), Schneckendrehzahl 100 rpm
Abb. 3b: Schneckendrehzahl 300 rpm, mit Fließkurve für 100 rpm und 0.2% Stab (dunkelgrüne Kurve)

Versuche mit wenig stabilisierter Neuware

In Abb. 2 erkennt man dementsprechend, dass sich die Fließkurven der Online gemessenen Scherviskosität mit zunehmender Schneckendrehzahl monoton zu niedrigeren Werten verschieben. Das heißt, je höher die Schneckendrehzahl desto höher ist der Abbau.

Abb. 3 zeigt die Fließkurven bei unterschiedlichen Anteilen eines gängigen kommerziellen Verarbeitungsstabilisators („Stab“) für die Verarbeitung mit a) 100 rpm und b) 300 rpm. Ohne Additivzusatz ergeben sich dieselben Kurven wie für die entsprechenden Drehzahlen in Abb. 2.

In Abb. 3 a), 100 rpm, zeigt sich bei der Zugabe von 0.1% Stabilisator eine deutliche Verschiebung der Fließkurve zu höheren Viskositätswerten hin. Eine Verdopplung des Anteils auf 0.2% (grüne Symbole) führt zu einer weiteren leichten Erhöhung der Viskositätswerte, während die Kurve bei einer Zugabe von 0.3% (violette Symbole) sich praktisch nicht mehr von der 0.2% Kurve unterscheidet.

Bei 300 rpm (Bild b)) verschieben sich die Fließkurven ebenfalls in Richtung höherer Viskositätswerte mit zunehmendem Additivanteil. Allerdings werden mit 0.3% Stabilisator noch nicht die Viskositätswerte erreicht, die während der Verarbeitung bei 100 rpm bereits mit einem Gehalt von 0.2% erzielt wurden.

Man wird somit schlussfolgern können, dass sich bei 100 rpm mit einer Additivzugabe von 0.2% ein verarbeitungsbedingter Abbau praktisch unterdrücken lässt. Ein noch höherer Anteil (hier: 0.3%) hat somit keinen Effekt.

Bei der Fahrweise mit 300 rpm ist der verarbeitungsbedingte Abbau deutlich höher. Selbst ein Stabilisatoranteil von 0.3% kann ihn noch nicht vollständig unterbinden.

 

Potenzial für eine chargenangepasste Nachstabilisierung in Echtzeit

Dieses Beispiel zeigt, dass man mittels Online-Rheologie unmittelbar während der Verarbeitung Informationen zur Auswirkung eines Verarbeitungsstabilisators erhält. Dies wird es ermöglichen, die Entwicklung von neuen Formulierungen zu beschleunigen.

Hinzu kommt, dass sich die Fließkurven zwischen den einzelnen Kunststoffen unterscheiden, sie beinhalten somit einen wesentlich höheren Informationsgehalt als der einzelne numerische Wert einer MVR-Messung. Zusätzlich können die Fließkurven der Dehnviskosität mit in die Auswertung einbezogen werden. Mittels eines entsprechenden KI-gestützten Systems bietet die Online-Rheologie das Potenzial für eine chargenangepasste Nachstabilisierung in Echtzeit bei der Rezyklatgewinnung.

Veröffentlichungen:

  • B. Steinhoff, C. Beinert, E. Metzsch-Zilligen, R. Brüll: Measuring the Stabilizer Content in Recyclates during Compounding-Determined Online, Recyclate Wins, Plastics Insights 7/2023, 67-69 (en)
  • B. Steinhoff, C. Beinert, E. Metzsch-Zilligen, R. Brüll: Den Stabilisatorgehalt in Rezyklaten während der Compoundierung messen - Online bestimmt, Rezyklat gewinnt, Kunststoffe 8/2023, 38-41 (de)