Ersatz eines mehrteiligen Fingers einer Handprothese durch ein einzelnes bistabiles programmierbares Metamaterial.

Passive Handprothesen mit gelenkigen Fingern sind häufig wegen der geringen Kosten attraktiv für den Endnutzer. Im Fraunhofer Cluster of Excellence Programmable Materials (CPM) wird ein Finger für eine Handprothese entwickelt, welcher vier stabile Verformungszustände annehmen kann. Das Fraunhofer LBF, IWM, ITWM und IAP arbeiten im Projekt »ProFi« zusammen, um die bisherige mehrteilige und verschraubte Lösung durch ein einzelnes programmierbares Metamaterial zu ersetzten, um den Montageaufwand zu verringern. Umgesetzt wurde dies mit einer Gelenkstruktur, welche nur einen rotatorischen Freiheitsgrad und einen geringen Biegeradius besitzt und mit bistabilen Einheitszellen verschaltet wird.
Der Finger der Handprothese soll zwei Gelenke besitzen, welche nur eine Beugung um eine Achse zulassen und in den übrigen Freiheitsgraden möglichst steif sind. Dabei sollen mindestens drei Fingerstellungen (gestreckt: 0°, Grundstellung: 30°, gebeugt: 90°) fixiert werden können, welche passiv von der zweiten Hand eingestellt werden. Da die Handprothese in erster Linie eine ästhetische Aufgabe hat, sind keine weiteren Funktionalitäten in den Fingerstellungen gefordert. Das Metamaterial soll skalierbar und dessen Außenkontur anpassbar sein, um möglichst viele individuelle Finger detailgetreu nachzubilden.
Das Konzept der Gelenkstruktur basiert auf einem Metamaterial von Shaw et al. [1], welches als Gelenkersatz für einen Ellenbogen dient. Die Besonderheit ist die beliebig anpassbare Außenkontur sowie ein einzelner Rotationsfreiheitsgrad. Für die Überführung in den wesentlich kleineren Bauraum sowie die Realisierung eines geringen Biegeradius wurden Anpassungen an der Struktur vorgenommen. Mittels FEM-Simulation wird eine Parameterstudie durgeführt, um die Spannungen in den Kerben der Struktur zu reduzieren. Die daraus entstehende Gelenkstruktur ermöglicht eine 90°-Biegung im vorgegebenen Bauraum, besitzt eine geringe Steifigkeit in der Beugungsrichtung und kann eine annähernd beliebige Außenkontor annehmen.
Das Design der bistabilen Einheitszelle ist an eine Geometrie angelehnt, welche von Berwind et al. [2] für metastabile mechanische Formgedächtnisstrukturen verwendet wird. Das Prinzip beruht auf zwei elastischen Balken, welche seitlich steif angebunden sind und bei einer orthogonalen Zugbelastung durchschlagen und somit zwei stabile Zustände besitzen. Auch für eine solche Einheitszelle wurde eine Parameterstudie durchgeführt. Aufgrund der hohen Anzahl an geometrischen Parametern wird die im CPM entwickelte Software „ProgMatCode“ [3] verwendet. Die Bewertung der Bistabilität erfolgte dabei durch die Betrachtung der Zugkraft, welche vom Positiven ins Negative verläuft. Um die Bistabilität zu erhöhen und eine Rotation aus der Ebene zu vermeiden, wurden die elastischen Balken in einer weiteren Optimierung als parallele Doppelbalken ausgeführt.
Für ein optimales Zusammenspiel der beiden Teilfunktionen wurden bei der Integration der bistabilen Einheitszellen in die Gelenkstruktur nochmals Anpassungen vorgenommen. Dadurch konnte die Bistabilität verbessert werden, was aber die Biegesteifigkeit senkrecht zur Beugung des Fingers verringert. Das sich ergebende bistabile programmierbare Gelenk wurde in zweifacher Ausführung in unterschiedlichen Größen in eine vereinfachte Version eines Fingers integriert. Dieser lässt sich an beiden Gelenken um 90° biegen, wobei sich vier stabile Positionen in 30°-Schritten ergeben. Der Finger kann additiv aus einem Bauteil ohne Montageaufwand hergestellt werden.
[1] Shw et al., Nature Communications, Computationally efficient design of directionally complaint metamaterials, 2019
[2] Berwind et al., Advanced Engineering Materials, A Hierarchical Programmable Mechanical Metamaterial Unit Cell Showing Metastable Shape Memory, 2018
[3] T. Lichti, Development of Methods and Tools for the Design of Programmable Materials, TU Darmstadt, Diss., 2023