Lebensdauervorhersage von Kunststoffen

Kunststoffalterung, Lebensdauer, Modellierung

Kunststoffbauteile sind im Betrieb wechselnden Umwelteinflüssen und komplexen Belastungskollektiven ausgesetzt. Für eine belastbare Lebensdauerabschätzung ist es erforderlich, Alterungs- und Versagensmechanismen besser zu verstehen, Schädigungen frühzeitig zu erkennen und hieraus Alterungs- und Versagensmodelle abzuleiten. Für Industriepartner werden auf die jeweilige Anwendung zugeschnittene Prüfmethoden und Prüfprotokolle entwickelt. Diese Kenntnisse sind in Software-Tools zur Vorhersage von Eigenschaftsänderungen für arbiträre Belastungskollektive und die Lebensdauerabschätzung eingeflossen. Durch die Kopplung der Modelle und deren Parametrisierung durch Alterungsexperimente können bereits in der Entwicklungsphase praxisnahe Belastungsszenarien modelliert und bewertet werden. Dies ermöglicht, Entwicklungszeiten zu verkürzen sowie das Ausfall- und Haftungsrisiko im Einsatz zu verringern. 

Lebensdauervorhersage von Kunststoffen für arbiträre Belastungsszenarien durch Kopplung von Experiment und Modellierung
Simulierter Wassergehalt einer PMMA-Probe (trockener Ausgangszustand, Dicke von 1,5 mm) mit Wetterdaten (Temperatur, Luftfeuchte, Sonnenstrahlung) aus Südflorida und Stuttgart vom 1.1.2010 bis 31.12. 2014. Analog können quellungsinduzierte und thermische Spannungszustände berechnet werden.

Quo vadis, Lebensdauervorhersage von Kunststoffen?

Um die Betriebssicherheit von Kunststoffbauteilen oder polymerbasierten Beschichtungsmaterialien zu garantieren, sind belastbare Aussagen zur Lebensdauer erforderlich, die den konkreten Anwendungsfall so gut wie möglich widerspiegeln. Beispiele hierfür sind Kunststoffteile oder Beschichtungen im Außenbereich, Bauteile unter stark wechselnden thermischen und mechanischen Lasten oder Druckbehälter für organische Flüssigkeiten bei hohen Temperaturen. Besonders wichtig ist eine zuverlässige Lebensdauervorhersage für sicherheitsrelevante Kunststoffanwendungen wie Gefahrstoffbehälter, tragende Bauteile oder Injektionsdübel für lasttragende Befestigungen.

Für die Material- und Produktentwicklung sowie zur Verringerung der Versagenswahrscheinlichkeit im Einsatz sind zeit- und kostenaufwendige Tests erforderlich. Beispiele sind die Klimalagerung, die künstliche Bewitterung, Kriechversuche und zyklische Ermüdungsversuche. Die Abbildungen zeigen Beispiele aus dem Bereich Kunststoffe des Fraunhofer LBF.

Um Prüfkosten und Entwicklungszeiten einzusparen, wird angestrebt, die Lebensdaueruntersuchungen zu beschleunigen. Der Beschleunigung der Alterungsprozesse durch erhöhte Temperaturen oder Bestrahlungsstärken sind jedoch materialspezifische Grenzen gesetzt. Zur Verbesserung der Übereinstimmung von Laborversuchen und der Alterung unter realen Bedingungen, wird darüber hinaus versucht, durch komplexere Prüfprotokolle Abhilfe zu schaffen. Parallel dazu ist es wünschenswert, Simulationsmethoden zur Modellierung komplexer Alterungsvorgänge zu entwickeln, um das Ausfallrisiko für neue Materialien oder in neuen Anwendungsfeldern vor einer Markteinführung besser einschätzen zu können.

 

Verbesserte Prüfverfahren, Modelle und Software-Tools zur Lebensdauervorhersage

In den letzten Jahren stehen zunehmend zeitaufgelöste Betriebsdaten (z.B. Real-Drive-Daten) oder standortspezifische Wetterdaten zur Verfügung. Die numerische Analyse solcher Daten ermöglicht es, verbesserte Prüfprotokolle zu entwickeln. Durch Implementierung geeigneter Material- und Alterungsmodellen in Software-Tools zur Lebensdauerabschätzung lassen sich bereits heute Änderungen von Materialeigenschaften oder kritische Spannungs- oder Dehnungszustände für reale oder fiktive Belastungsszenarien über lange Zeiten modellieren. Hierbei werden aufeinanderfolgender Lasten (z.B. Temperatur, Feuchte oder Dehnungen) für vorgegebene Betriebszustände, Klimazonen oder hypothetische Einsatzszenarien gewichtet und überlagert. So konnte unter Verwendung mehrjähriger, zeitaufgelöster Wetterdaten (Temperatur, Luftfeuchte, Sonneneinstrahlung) aus Stuttgart ein standortspezifisches Bewitterungsprotokoll für die Kurzeitbewitterung aus Simulationen abgeleitet werden. 

Ganz analog konnten unter Verwendung von Mikroklimadaten aus dem Motorraum eines PKW für verschiedene Fahrzustände und einem Modell für die thermische Aktivierung für Polyamid 6.6 Prüfprotokolle für die Ofenlagerung abgeleitet werden, die den Alterungszustand für einen vorgegebenen Zeitraum im Fahrbetrieb nachstellen. Umgekehrt lasen sich Veränderungen der Materialeigenschaften (z.B. Bruchdehnung, Härte, Molmasse, Kristallinität) sowie Restlaufzeiten für eine vorgegebene Nutzugsdauer berechnen. Das Fortschreiten der Materialschädigung lässt sich den verschiedenen Betriebszuständen im Fahrbetrieb zuordnen.

 

Kürzere Entwicklungszeiten und verringertes Ausfallrisiko

Im Bereich Kunststoffe des Fraunhofer LBF arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Natur- und Ingenieurwissenschaften eng zusammen, um die Alterungsvorgänge und Versagensmechanismen von Kunststoffen besser zu verstehen und geeignete Material- und Lebensdauermodelle zu entwickeln. Für Industriepartner können hieraus auf die jeweilige Anwendung zugeschnittene Prüfmethoden und Prüfprotokolle entwickelt werden. Diese Kenntnisse sind in Software-Tools zur Vorhersage von Eigenschaftsänderungen für arbiträre Belastungskollektive und die Lebensdauerabschätzung eingeflossen. Durch die Kopplung der Modelle und deren Parametrisierung durch Alterungsexperimente können bereits in der Entwicklungsphase praxisnahe Belastungsszenarien modelliert und bewertet werden. Dies ermöglicht, Entwicklungszeiten zu verkürzen sowie das Ausfall- und Haftungsrisiko im Einsatz zu verringern.

Förderung

Ein Teil der Ergebnisse entstand im Rahmen des IGF-Vorhabens 20095N der Forschungsvereinigungen „Forschungsgesellschaft für Pigmente und Lacke e.V.“ (FPL) und „Forschungsgesellschaft Kunststoffe e.V.“ (FGK), dasüber die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung und -entwicklung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert wurde. Wir bedanken uns für die finanzielle Unterstützung.